... aus dem Geiste der Operette. Materialien zum 10. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 20. - 23. November 1997.
Zeitgenössische Pressestimmen

Die Filmoperette

Robert Volz

in: Der Bildwart, 3. Jg., 2. Heft, 1925


Sie ist nicht mehr jung. Wir haben die Operetten DAS KUSSVERBOT und MISS VENUS und die anspruchsvollere Oper JENSEITS DES STROMS erlebt, haben sie kommen und trotz allen Singsangs doch wieder sang- und klanglos verschwinden sehen. Man mühte sich redlich, den musizierenden Film zu erfinden oder - vom Theater her gesehen - die Operette von der plastischen Bühne zu befreien und ihr als Ersatz die Filmproduktion zu geben. Was half’s - Es ging nicht recht zusammen, es klappte nicht, man verspürte peinlich die unleugbare Mesalliance. Lange blieb alles still, bis jetzt plötzlich und unverhofft - weil nämlich die entschlafenen Versuche eigentlich längst die Aussichtslosigkeit aller Bemühungen dieser Art schon einer ziemlich großen Kennerschaft bewiesen hatten - bis also ziemlich überraschend vor wenigen Tagen in einem Berliner Ufa-Theater nochmals das Wagnis unternommen wurde, eine Filmoperette als Kunstwerk in die Welt zu setzen. Damit ist das ganze Thema erneut praktisch angeschnitten. Hinzu kommt aber noch, daß die Begleitumstände, unter denen dieser neue musikalische Film der Öffentlichkeit übergeben oder angeboten wurde, so ungewöhnlicher Art gewesen sind, daß es sich auch aus diesem Grunde verlohnt, die Feder einige Male einzutauchen.

Eines nach dem anderen. - Filmoperette ist ein Film, dessen Personen singen. Da diese aber nur photographisch wiedergegeben sind, muß der Gesang auf mechanischem Wege (Lautplatten, Grammophon) erzeugt oder von natürlichen Personen vor oder hinter der weißen Wand bestritten werden. Damit war es nun anfangs ganz schlimm bestellt, weil entweder der Darsteller den Mund gerade offen zu haben pflegte, wenn der Sänger, der maschinelle oder der lebendige, schwieg und umgekehrt oder weil der Gesang störend immer aus ein und derselben Richtung kam, sei es von unten aus dem Orchester oder von einem bestimmten Punkte hinter dem Filmbilde, so daß in 99 von 100 Fällen der Widerspruch zwischen der tatsächlichen und der im Bilde vorgetäuschten Tonquelle unangenehm, ja bisweilen sogar qualvoll empfunden wurde. Man mußte, ob man wollte oder nicht, immer wieder aufs neue entdecken, daß gar kein Gedanke daran war, in den Trägern und Trägerinnen der Filmrollen die Sänger oder die Sängerinnen zu erblicken. Aber es lag auch auf der Hand, daß diese in räumlichen Entfernungen begründete Unglaubwürdigkeit, dieser Mangel an Übereinstimmung ein Übel war, dessen Beseitigung oder Milderung jedenfalls im Bereiche des Möglichen lag. Eigentümlicherweise ist aber bis zur Stunde keine volle Behebung dieser Inkongruenz gelungen. Das einzige, was man getan hat, ist, daß man Großaufnahmen gänzlich vermeidet, weil bei ihnen der Fehler in der Tonrichtung ganz besonders störend zu empfinden wäre. Aber es sei einmal als unerheblich angesehen, daß es mit der Tonrichtung bei der Filmoperette nicht stimmt. Wichtiger, viel wichtiger erscheint die Frage, ob Film und Operette in einem Atem genannt werden können, ob die Filmoperette eine Fortentwicklung des Films ist, ob mit der Vereinigung der beiden Ausdrucksmittel - des optischen und des akustischen - eine irgendwie geartete Vervollkommnung erzielt wird.

Der Film ist eine Angelegenheit der Bildwirkung, und die Entwicklung des Films vom Berichterstatter, der sein Dasein einem anderen entlehnt, zum selbständigen und schöpferischen Kunstwerke ist eine Folge der Erkenntnis, daß der Film sich gänzlich lossagen muß vom Theater, daß er seine eigene, nur aufs Bild berechnete, nur im Bild berechtigte und wirkungsvolle Sprache hat und daß ihm sein besonderer Stil zukommt, der es ihm in seiner idealsten Form und Lösung unmöglich macht, bei der Wahl seiner Ausdrucksmittel sich anderer als eben derjenigen zu bedienen, die das Bild - im Unterschied zur Bühne - bedingt und zuläßt.

Nimmt man nun den Film und versetzt ihn dadurch in den Zustand des Bühnenspiels, daß man die handelnden Personen sich so betragen läßt, wie es im Schauspiel oder im Singspiel oder auch in der Oper üblich ist, dann erschlägt man das, was im Film filmisch sein sollte, oder vielmehr man unterdrückt und vergewaltigt es und wirft den Film in seiner Entwicklung um Jahre zurück. Die Filmoperette preßt nicht nur zwei grundverschiedene Elemente - Theater und Bildspiel - in einer Zwangsjacke zu einem unförmigen Gebilde zusammen, sie verhütet auch von vornherein, daß der Film sich auf sich selbst besinnen und der nur ihm eigenen Mittel bedienen kann. Die Filmoperette ist photographiertes Theater und damit ein Rückfall in ein überwundenes Zeitalter, ein Irrweg, der ins Gestrüpp führt, künstlerisch eine absolute Unmöglichkeit.

Denkbar wäre - und eine ernsthafte Beweisführung wird den Gegner aufsuchen, um ihn zu überwinden, nicht aber ihm ausweichen -, daß die Hersteller der Filmoperette meinen und auch erklären, ihr Werk sei ja etwas ganz Neues, etwas für sich Bestehendes, weder Operette noch Film, sondern ein selbständiges Produkt aus beiden.

In Wirklichkeit ist aber Film Film und Theater Theater. Bei der Oper liefern Bühnenbild und Bühnenvorgang mehr oder weniger den Hintergrund oder den Rahmen oder das Geleise für die Musik, für die Sänger, für die Kunst der klanglichen Entfaltung und Entladung. Beim Film fällt das gesprochene Wort weg; die Geste an sich, der Ausdruck, wie ihn das Bild verlangt und zuläßt, entscheidet. Aber es ist unmöglich, daß beides miteinander verschmilzt. Die Filmoperette teilt die Aufmerksamkeit in Hören und Sehen, jedes besteht für sich allein, und es wird nicht etwa das eine vom anderen unterstützt, wie es bei der Oper der Fall ist. Der Film der Filmoperette führt zu einer Zerdehnung der Bilder anstatt zu einer Vereinfachung und Abwandlung nach Maßgabe des dem Film eigenen Stils des Ausdruckes. Was also bleibt von der Errungenschaft des musikalischen Films übrig?

Offenbar, selbst nach Ansicht der Utopisten, die sich mit der Filmoperette abmühen, nicht sehr viel. Jedenfalls war es auffallend, in was für einer gekünstelten Aufmachung DAS MÄDEL VON PONTECUCULI herausgebracht wurde. Selbst wenn man berücksichtigt, daß die Revue und alles, was ihr ähnelt, augenblicklich auf einen sehr fruchtbaren Boden fällt und auch wenn man weiter in Betracht zieht, daß die Berliner Bühnenkunst - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - einen erbärmlich tiefen Stand erreicht hat, so bleibt es dennoch zu verwundern, mit welcher Lammesgeduld das Publikum der Uraufführung in der Friedrichstraße die Mißgeburt dieser Filmoperette über sich ergehen ließ und alle die unehrlichen Mittel hinnahm, die einen Erfolg sollten herbeizaubern helfen. Der blieb ja nun trotz des gelegentlichen Kicherns einiger Harmlosen und trotz der händeringenden Abschiedsrede des künstlerischen Oberleiters und Regisseurs Ludwig Czerny vom Notofilm-Verlage an die Unentwegten und an die Presse, die helfen soll, aus - im übrigen eine Schlußapotheose von noch nie dagewesener Geschmacklosigkeit.

Aber es wäre doch noch einiges im einzelnen zu sagen. In einem Duett im Garten, wo »er« neben ihr auf der Bank sitzt und »sie« ansingt, wird besonders klar, wie verfehlt dieser Film als Film ist. Nicht nur das photographierte Theater verletzt, sondern die Verlängerung und Unterstreichung der Qual durch die gesanggerechte Mundgymnastik - denn das Singen geht nebenher - straft die Brauchbarkeit und den Fortschritt dieser Erfindung einfach Lügen. Aber das Widerspruchsvolle erreicht seinen Gipfel, wenn man zuerst eine Filmaufnahme mit Musik erlebt und dann das Gleiche ein zweites Mal - als Vorgang auf der Bühne zu sehen bekommt. Man ist geneigt zu fragen: Warum der Umweg? Warum zuerst Photographie (denn Film ist’s nicht) und dann Theater in Natur? So produziert sich zuerst ein Ballett in ungarischen Kostümen im Film in einem Parke und erscheint gleich darauf in Fleisch und Blut auf der Bühne. Eines ist sicher: an Übereinstimmungen dieser Qualität ist der Film reich. Kaum daß man sich versieht, schweben durch den Mittelgang des Parketts Tänzerinnen in spanischen Kostümen, ersteigen die Bühne und wiederholen das, was der Film vorher als eine Revue im Film gezeigt hatte. Hat man sich davon erholt, dann kommt Herr Czerny ins Parkett gestürzt und macht die vermutlich auf das Zwerchfell berechnete aber mit untauglichen Mitteln gestrafte Eröffnung, daß Fürst Carlo XVII. von Pontevedo - der Film dreht sich um die Doppelrolle eines Bonvivant-Landesvaters und eines ebensolchen Tenors - »eigenhändig« (fabelhaft!) eingetroffen sei und sogleich erscheinen und Orden verteilen werde. Man traut seinen Augen nicht! Ein Schauspieler vom Können und Rufe Charles Willy Kaysers, der in Hartleben-Meinerts »Rosenmontag« eben erst einer tragischen Rolle ihre künstlerische Abrundung verliehen hat, kommt mit zwei Darstellern aus dem Mädel von Pontecuculi durch das Theater geschritten und ist sich nicht zu gut, unter Beihilfe der beiden anderen Clowngestalten einen blöden, geist- und witzlosen Serenissimus von einer Art Rednerpult herunter zu mimen. Und dann geht der Film weiter und zu Ende. -

Wenn erst bei anderen Aufführungen, denen im Orchester keine geübten Sänger, kein Ballett auf der Bühne, kein meckernder Charles Willy Kayser und auch all die anderen Mätzchen nicht zur Verfügung stehen, die alle mithelfen sollten, einen Premierenerfolg zu zeitigen - wenn erst der ganze Revue- und Jahrmarktszauber und -Rummel wegfällt, dann wird die Einsicht nicht mehr aufzuhalten sein, daß auch diese Filmoperette ein verlorenes Beginnen gewesen ist. Die ganze Frage ist durch eine Berliner Uraufführung aufgerollt worden. Es sollte keine Filmkritik geschrieben werden. Vielmehr galt es, das Problem einer Filmreform, einer Verbindung von Film und Musik auf ihre Durchführbarkeit grundsätzlich zu prüfen. Daß es bei dieser Gelegenheit nötig wurde, außerhalb des Films liegende Hilfsmittelchen deutlich und energisch abzulehnen, die einen Erfolg auf Umwegen herbeizuführen bestimmt waren und die in Wirklichkeit nur die ganz Anspruchslosen blenden und alle anderen aus dem Kino verjagen, daran sind die Herren Unternehmer selbst schuld. Der Film ist eine zu ernste und zu wichtige Angelegenheit, als daß auf Entgleisungen wie diese Filmoperetten und auf Zirkuseinlagen und Varieténummern, die im Lichtspielhause nichts zu suchen haben, nicht warnend und ablehnend zugleich hingewiesen werden müßte.

Dabei soll über einen doch sicherlich nicht unwesentlichen Teil dieser »Operette«, nämlich über die aus allen Himmelsrichtungen zusammengekratzte Musik, schon am besten ganz geschwiegen werden.


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