Triviale Tropen
Materialien zum 9. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 1996
Zeitgenössische Pressestimmen

Filmsorgen im tropischen Afrika

Hans Schomburgk

in: Film-Kurier, Nr. 118, 7.5.1922


Nur, wer so wie ich die ganzen Sorgen und Mißerfolge einer mißglückten Filmexpedition im tropischen Afrika miterlebt hat, weiß, welch ungeheure Mühen und Arbeiten dazu gehören, aus jenen Landstrichen brauchbare Bilder nach Europa zu bringen.

Meine erste Filmexpedition, die mich nach Liberia und Togo in Westafrika führte, war ein glatter Mißerfolg. Sie brachte mir aber immerhin die Gewißheit, daß es auch in Afrika möglich sei, brauchbare Filme herzustellen, wenn man es nur verstände, die Schwierigkeiten zu überwinden, die einem das Klima entgegensetzt. Auf jeden Fall war diese erste Filmexpedition für mich sehr lehrreich. Ich kehrte nach Europa zurück, und auf Grund der gesammelten Erfahrungen gelang es mir, für meinen Film eine Verpackung ausfindig zu machen, die sich bei meiner zweiten Expedition dann auch aufs beste bewährt hat. Auch die überaus schwierige Beleuchtung in jenen Tropenländern hatte ich aus den Mißerfolgen gelernt. Nachdem ich nun sicher war, daß ich die photographischen Schwierigkeiten überwunden hätte, kehrte ich nach Afrika zurück.

Eine zweite Schwierigkeit bot der Aberglaube, die Abneigung der Neger gegen den Apparat. In Liberia wollte ich z.B. in einem Dorfe namens Sugary das dortige heilige Krokodil filmen. Dieses Krokodil, ein uraltes Tier, wurde in früheren Jahren mit Menschenopfern gefüttert, und wie die Fama behauptet, ist auch manch unschuldiges Baby dort verschwunden, das sicher sein Grab im Magen dieses heißhungrigen Sauriers gefunden hat. Dieses Tier kam auf den Ruf des Fetischmannes aus dem Wasser ins Dorf. Es wurde zu den Gerichtsverhandlungen mit hinzugezogen und saß dann friedlich neben dem Fetischmann. Leidenschaftlich gern soll es auch Schnaps getrunken haben. Aber dies alles weiß ich nur aus Erzählungen.

Als ich nach einer mehrtägigen Reise in Sugary anlangte, sträubten sich die Eingeborenen ganz entschieden dagegen, ihren Fetisch filmen zu lassen. Es bedurfte unendlicher Palaver und vieler Geschenke, bis mir schließlich die Erlaubnis zuteil wurde. Ich hatte der ganzen Erzählung bisher wenig Glauben geschenkt, aber siehe da, als der Fetischmann zum Wasser hinunterging und unter allem möglichen Hokuspokus anfing, das Tier zu rufen, kam es richtig heraus und folgte ihm bis zum Dorf. Sofort wurden die Apparate aufgestellt, und die Aufnahmen begannen. Hiermit war das Tier aber keineswegs einverstanden. Sobald es das Surren des Apparats hörte, griff es uns wütend an. Zur großen Freude des Fetischmannes sahen wir uns gezwungen, einen beschleunigten Rückzug anzutreten. Nach weiteren Verhandlungen wurde dem Krokodil ein Huhn gegeben, das es dann auch glücklich vor der Kamera verzehrte. Sobald es das Huhn verschlungen hatte, kehrte es wieder in seine Lagune zurück. Diesmal half kein Rufen, es ließ sich nicht wieder sehen. Filmschauspieler wollte es scheinbar nicht werden.

Noch schwieriger gestalteten sich die Verhandlungen mit den Eingeborenen, wenn es sich darum handelte, Szenen aus den dortigen Geheimbünden aufzunehmen. Während meiner damaligen Anwesenheit in Liberia tagte gerade der sogenannte Frauenbusch. Dieser Grigribusch ist, in kurzen Worten gesagt, eine Erziehungsanstalt für junge Mädchen. Auf die Einzelheiten hier einzugehen, würde zu weit führen. Jedenfalls werden die Sitten und Gebräuche vor den Männern aufs äußerste geheim gehalten. Alle Versuche, Szenen aus dem Geheimbund aufzunehmen, scheiterten an dem absoluten Widerstand der Neger.

In Togo begann ich mit den Aufnahmen von Spielfilmen, und hier erlebte ich zum erstenmal auf meiner Filmreise eine angenehme Enttäuschung. Die Neger wußten gar nicht, um was es sich hier handelte, und spielten desto natürlicher. Zeit und unendliche Geduld waren allerdings erforderlich, um diesen unverdorbenen Naturkindern beizubringen, um was es sich handelte. Hatten sie es aber einmal begriffen, so spielten sie mit einer Natürlichkeit und Leidenschaft, wie man sie in Europa wohl kaum findet. Als Gage zahlte ich in diesen glücklichen Tagen durchschnittlich zwei Tassen Salz pro Tag und Kopf. Eine größere Schwierigkeit entstand nur, als ich eines Tages zu einer Szene einen Toten brauchte. Hier setzte wieder der Aberglaube der Neger ein, denn, sagten sie, »wenn wir tot spielen, werden wir in Wirklichkeit auch bald sterben«. Aber auch in diesem Falle siegte die Habgier über den Aberglauben, denn nachdem ich das Tageshonorar für eine Leiche bis auf 2 Mark heraufgesetzt hatte, gelang es einem geschickten Dolmetscher, die Leute von der Harmlosigkeit der Sache zu überzeugen, und eines schönen Morgens weckte er uns mit der erfreulichen Nachricht, daß 10 Tote vor dem Zelt lägen. Ich konnte mir schon denken, um was es sich handelte, aber meine Frau, die noch nicht so tief in die Negerseele eingedrungen war, bekam keinen gelinden Schreck, als sie heraustrat und tatsächlich 10 Neger vollständig erstarrt auf der Erde liegen sah. Die passendste Leiche wurde ausgesucht, und die Aufnahme konnte beginnen. Der Neger ließ sich willig erschlagen und wurde ins Dorf getragen, wo die Frauen um ihn den üblichen Totentanzgesang anstimmten. Damit war die Aufnahme beendet. Aber nun war die Schwierigkeit, den toten Neger wieder zum Leben zu bringen. Wir konnten machen, was wir wollten, er rührte und regte sich nicht, er wollte sich seine Gage ehrlich verdienen. Es blieb uns schließlich nicht anderes übrig, als alle einfach wegzugehen; da begriff er endlich, daß auf seine Mitwirkung nicht länger gerechnet wurde, und freudestrahlend kam er zu unserem Zelt, um sein fürstliches Honorar von 2 Mark in Empfang zu nehmen.

Im Innern Afrikas die ganzen Filme zu entwickeln, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Jeden Abend entwickelten wir daher nur kleine Probestücke, um die Richtigkeit der Belichtung festzustellen. Völlig nackt saßen mein Operateur und ich im hermetisch abgeschlossenen Zelt, um Filmproben und Platten zu entwickeln. Diese Abende waren für die Moskitos der ganzen Umgebung ein Freudenfest, die zu Tausenden herbeikamen, um auf unseren wehrlosen Körpern wahre Blutorgien zu feiern, und dies bei einer Temperatur, gegen die ein Dampfbad ein kühler Erholungsort ist.

Aber all diese Schwierigkeiten sind zu ertragen, im Gegenteil: es wird zum Sport, sie zu überwinden. Nur eins zehrt an den Nerven, bringt einen zur Verzweiflung und macht einen gegen seine Mitarbeiter und Untergebenen mürrisch und unfreundlich: das verzweifelte Warten auf Nachricht aus der Heimat. Man kommt sich vor wie abgeschnitten von der Welt, man arbeitet zwar mit dem Mute der Verzweiflung weiter, aber innerlich fragt man sich immer und immer wieder: Hat es Zweck? Sind denn überhaupt die Bilder, die ich nach Hause geschickt habe, brauchbar? Haben die belichteten Filme trotz aller sorgfältigen Verpackung die lange Heimreise überwunden?

Nie werde ich den Abend vergessen, als wir oben in Sumbo, an der Nordspitze Togos, an der französischen Grenze saßen und unser ganzes Gespräch sich immer und immer wieder um unsere fortgeschickten Filme drehte. Monatelang waren wir ohne Nachricht aus England geblieben. Wir saßen am Lagerfeuer, ruhig und still, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Im Otifluß, der dicht hinter dem Lager dahinfloß, brüllte ein Flußpferdbulle, den wir noch am Morgen mit List und Tücke gefilmt hatten. Plötzlich, wie aus der Erde gezaubert, steht im Kreise des flackernden Feuers ein Schwarzer vor uns, im eingeklemmten Stock trägt er ein kleines, verschnürtes Paketchen. Endlich Nachricht aus der Heimat! Eine Depesche, die uns nachgesandt war. Keiner hatte den Mut, sie zu öffnen. Mein Operateur nahm sie an, gab sie mir, ich gab sie ihm zurück, er gab sie meiner Frau, die sie, kurz entschlossen, aufriß. Nur ein Wort stand darin: »Splendid« (erstklassig), aber dies kleine Wörtchen wirkte Wunder. Neu aufgefrischt waren unsere Lebensgeister. Die letzte halbe Flasche Champagner, die für eine besonders festliche Gelegenheit aufgespart war, wurde geopfert, und zum erstenmal seit Monaten gingen wir alle in fröhlicher Laune zu Bett. Am nächsten Morgen ging es weiter hinein in den Sudan, um die Aufnahmen zu vollenden, die jetzt als AFRIKA IM FILM in Deutschland gezeigt werden.


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