Triviale Tropen
Materialien zum 9. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 1996

Vorwort

An die Reisenden

In vier Tagen um die Welt - der 9. Internationale Filmhistorische Kongreß macht’s möglich!

Die Entdeckungsreise, zu der er einlädt, führt in ein Genre, mit dem sich auch in Deutschland das Kino als weltumspannende Emotionsmaschine definierte. Ohne Rücksicht auf Wahrscheinlichkeiten und ohne Skrupel vor Wahrhaftigkeit setzte es dabei auf die Schau- und Abenteuerlust des Publikums.

So entstanden heute vielfach vergessene Filme, die sich die Oberflächenreize ferner Gegenden und Länder lustvoll nutzbar machten; Filme, in denen sich Eskapismus und Exotismen, Ethnografie und Ressentiments heftig vermischen; Filme, die zwischen Studio-Kulissen und Originalschauplätzen all das boten, nach dem das Kinopublikum sich sehnte: Tropen, Palmen, Wüstenwinde... und erotische Irritationen.

Was diese Produktionen untereinander verbindet, sind filmische Phantasmagorien bei der Wahrnehmung oder freien Konstruktion fremder Kulturen. Der »authentische« Dokumentarfilm operiert dabei mit Spannungsmomenten, die auch der Spielfilm nutzte - die »inszenierte Fremde« wiederum dokumentiert die Befindlichkeit ihrer Schöpfer und ihrer Konsumenten.

In diesen Filmen wurden Motive erforscht und Szenarien entwickelt, die die Massenmedien der Gegenwart noch immer variieren. Mit ihnen hat das Kino »Wunschräume« erschlossen und Gegenwelten erschaffen, die noch heute den Alltag transzendieren.

Die Idyllisierung der Fremde steht hier neben der Dämonisierung des Fremden. Doch bei allen Fälschungen, die die Filme mitunter nur schwerlich verbergen, und all dem »Falschen«, das sie unvermeidlich transportieren, spricht aus ihnen doch zuweilen etwas Wahres - und sei es nur eine unverändert gültige Sehnsucht nach (notgedrungen) synthetischen Paradiesen.

Die Texte des Materialienhefts sollen Auskunft geben über Entstehung und Resonanz »exotischer« Filme und Anhaltspunkte liefern für Mentalitäten im Umkreis ihrer Hersteller und Rezipienten. Sie sollen die Vorträge im Völkerkundemuseum - für dessen Gastfreundschaft CineGraph an dieser Stelle herzlich dankt - nicht vorwegnehmen. Sie können die unmittelbare Anschauung, die die Retrospektive im Metropolis ermöglicht, nicht ersetzen.

Und zu sehen sein wird vieles: Da werden Männer mit Tigern ringen und im Opiumrausch erotische Extasen erleben. Abenteuerinnen werden auf dem Meere Schiffbruch erleiden. Beduinen werden über die Leinwand jagen, japanische Aristokraten werden sich formvollendet entleiben. Zu bestaunen sind Fellachenaufstände, Schlangenbeschwörer und magiebefähigte Yoghis.

Die Filmexpedition führt nach Indien, Afrika und in die Südsee, nach China, Ägypten, Japan, Algerien, ins Amazonasgebiet und nach Bali. Die Expeditionsleitung wünscht angenehme Tage in Hamburg, das heißt in diesem Fall: eine aufregende und unterhaltsame Reise!


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